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Eine pferdegerechte Aufzucht und die ersten Schritte in der Ausbildung sind wichtige Grundlagen für den Start in das Leben eines Reitpferdes. Fehler bei der Aufzucht oder Ausbildung können sich langfristig negativ auswirken. Der Brennpunkt Pferd 2023 geht mit Fachreferaten und Praxisposten auf wichtige Fragen rund um das Management junger Pferde ein.
Gastbeitrag der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL)
Das Absetzen ist für junge Pferde ein sehr stressreiches Erlebnis. In mehreren Studien wiesen über 90 Prozent der Fohlen nach dem Absetzen Magengeschwüre auf, da Stress ein wichtiger Faktor für deren Entstehung ist. In menschlicher Obhut ist es nicht möglich, die Fohlen wie in der Natur über viele Monate langsam abzusetzen. Allerdings gibt es zwei Faktoren, die den Stress beim und nach dem Absetzen deutlich reduzieren. Einerseits hilft ein schrittweises Absetzen (z. B. getrennte Boxen in der Nacht). Andererseits ist es für die Fohlen bezüglich Stressreduktion nach dem Absetzen auch hilfreich, wenn ältere und dem Fohlen bereits bekannte Pferde Teil der «Aufzuchtherde» sind.
Wenn man Jungpferde gleichen Alters miteinander vergleicht, fällt schnell auf, dass es von Pferd zu Pferd grosse Unterschiede im Hinblick auf die Entwicklung gibt. Die Entwicklungsgeschwindigkeit kann zum Teil auf die Genetik zurückgeführt werden. So verläuft die körperliche Entwicklung bei Vollblütern in der Regel deutlich schneller als bei Kaltblutrassen, aber auch innerhalb der Rassen gibt es bedeutende Unterschiede. Deshalb ist es schwierig festzulegen, ab wann ein Pferd «ausgewachsen» ist. Während sowohl die Körpergrösse wie auch die Entwicklung der Gliedmassen bei vielen Pferden bereits mit drei Jahren abgeschlossen ist, können sich Teile des Skeletts (z. B. Wirbelsäule) auch mit fünf Jahren noch in der Entwicklung befinden. Ein Skelett mit offenen Wachstumsfugen darf nicht übermässig und einseitig belastet werden. Es ist jedoch bewiesen, dass bei Jungpferden insbesondere kurze und schnelle Bewegungen wie Galoppsprints zu einer verbesserten Knochenstabilität führen und für die Mineralisierung des Knochens unabdingbar sind. Daher brauchen besonders junge Pferde in der Aufzucht ganzjährig Raum (Weide, Auslauf), um sich frei zu bewegen.
Nach dem Absetzen im fünften oder im sechsten Lebensmonat wächst das Fohlen noch im ersten Lebensjahr intensiv, sodass weiterhin ein erheblicher Mehrbedarf an Energie, Eiweiss (einschliesslich Aminosäuren), Mineralstoffen und Vitaminen besteht. Bei einem Zweijährigen sind rund 80 bis 95 Prozent des Gewichtes eines ausgewachsenen Pferdes erreicht, sodass der Energie-, Eiweiss-, Mineralstoff- und Vitaminbedarf sich kaum noch von einem ausgewachsenen Pferd unter Erhaltungsbedingungen unterscheidet.
Absetzer, Jährlinge und Zweijährige sollten Raufutter wie Heu, Heulagen oder Luzerneheulagen in Mindestmengen von über 1,5 Kilogramm Trockensubstanz pro 100 Kilogramm Körpermasse oder aber zur freien Verfügung erhalten. Traditionell werden bei Jungpferden Getreide (z. B. Hafer) oder kommerzielle Ergänzungsfutter zusätzlich als Energielieferanten gefüttert. Zu beachten ist dabei, dass Heu-Getreide-Rationen mit einer hochwertigen Eiweissquelle wie Luzerne oder Erbsenflocken zu ergänzen sind, um einen Aminosäuremangel zu vermeiden. Zudem müssen Heu-Getreide-Rationen mit vitaminiertem Mineralfutter ergänzt werden. Bei einem guten Grasangebot kann hingegen vielfach auf eine Energie- und Proteinergänzung verzichtet werden, jedoch ist auch der 24-Stunden-Weidegang mit Mineralfutter zu ergänzen. Werden kommerzielle Ergänzungsfuttermittel eingesetzt, kann in der Regel auf ein vitaminiertes Mineralfutter verzichtet werden, da diese Ergänzungen bereits Mineralstoffe und Vitamine enthalten.
Neben der körperlichen Entwicklung darf auch die geistige Entwicklung eines jungen Pferdes nicht ausser Acht gelassen werden. Wie bei den Menschen ist das Lernen auch bei Pferden ein Prozess, der vor allem in den jungen Jahren stattfindet. In der Aufzucht steht vor allem das Lernen in Bezug auf das Sozialverhalten im Fokus. Daher müssen Jungpferde gemäss Schweizer Tierschutzgesetz in Gruppen gehalten werden. Als Jungpferde werden dabei Pferde zwischen dem Absetzen und einem Alter von dreissig Monaten bezeichnet. Neben dem Erlernen des Sozialverhaltens ist es für Fohlen auch wichtig, den Umgang mit dem Menschen kennenzulernen. Dies bedeutet keinesfalls, dass die Fohlen gemäss «Imprinting-Methode» in der ersten Lebenswoche bereits sämtliche Handlungen erdulden müssen. Ein behutsames Angewöhnen an das Anhalftern, Hufeheben und Putzen ist jedoch bereits in den ersten Wochen und Monaten sinnvoll. Natürlich ist es auch zu späteren Zeitpunkten möglich, die Pferde an den menschlichen Kontakt zu gewöhnen, was zum Beispiel bei heimischen Islandpferden die Regel ist. Im Verlauf der Aufzucht werden die Fohlen jedoch immer stärker, was wiederum zu gefährlichen Situationen für den Menschen führen kann. Dies ist insbesondere in Situationen problematisch, in denen ein naher Umgang mit dem Jungpferd plötzlich erforderlich ist – beispielsweise bei einem medizinischen Notfall.
Die Ausbildung von Jungpferden ist mit verschiedensten Methoden möglich. In den letzten Jahren wurde die Bodenarbeit als Grundbaustein für das Anreiten immer bedeutsamer. Aber auch die altbewährte Handpferd-Methode wird immer noch erfolgreich in der Jungpferdeausbildung eingesetzt. Unabhängig von der eingesetzten Methode ist es wichtig, dass das Pferd vor dem Anreiten eine positive Beziehung zum Menschen aufbauen kann. Zudem ist wissenschaftlich belegt, dass sich Stress auch bei Pferden negativ auf die Lernfähigkeit auswirkt.
Jan Kocher, BFH-HAFL
Ingrid Vervuert, Universität Leipzig, Lehrbeauftragte BFH-HAFL
Schweizerischer Verband für Pferdesport